Anonymität unerwünscht – Pseudonyme in Sozialen Netzwerken und die Folgen

- Juli 20, 2011

Quelle: nzz online, 19.07.2011

Von Henning Steier

Google+ ist in die Kritik geraten, weil jeder Nutzer der sein soll, der er ist. Die Debatte ist für Facebook nichts Neues, zeigt sie doch das Vermarktungskonzept hinter sozialen Netzwerken. Unterdessen preschen Aktivisten von Anonymous mit einer Alternative namens Anonplus vor.

„Identifizierbarkeit kann sehr wichtig sein, aber Anonymität und Pseudonyme sind in vielen Kulturen stark verbreitet – aus guten Gründen“, schrieb Alma Whitten im Februar in einem Blogeintrag. Googles leitende Entwicklerin im Bereich Datenschutz spielte damit wohl unter anderem auf die Lage von Aktivisten in China an. Google-Entwickler Andrew Bunner hat nun, rund zwei Wochen nach dem Start des sozialen Netzwerkes Google+, dazu aufgerufen, Accounts mit offensichtlich falschen Namen über die entsprechende Schaltfläche zu melden. Davon sind auch Unternehmen und Medien betroffen, denn der Suchmaschinenanbieter hat bereits angekündigt, eigene Seiten für sie einzurichten – wie sie Marktführer Facebook seit geraumer Zeit anbietet.

Die Community hat bereits rund zehn Millionen Mitglieder, obwohl sie noch nicht für die Allgemeinheit geöffnet wurde. Doch nun tobt im Netz eine Debatte darüber, ob Google mit seiner auf den ersten Blick widersprüchlichen Vorgehensweise den Erfolg des Facebook-Konkurrenten gefährden könnte. Eine italienische Nutzerin, die ihren Second-Life-Namen „Opensource Obscure“ verwendete, wurde gesperrt. Sie führte an, dass ihr Pseudonym im Netz bekannter sei als ihr Klarname. Geekfeminism.org verwies auf ein erhöhtes Stalking-Risiko für Frauen, das die Pflicht zum Realnamen mit sich bringen könnte.

Reaktion auf Medienecho

Blogger Enno Park meldete sich zunächst unter seinem echten Namen an. Als Accounts von Medien gesperrt wurden, wechselte Park testweise zu seinem Pseudonym „Die Ennomane“, was eine Sperrung nach sich zog. Es wurde allerdings der gesamte Google-Account deaktiviert. Park musste sich per SMS und echter Telefonnummer authentifizieren, um sein Konto und Dienste wie Buzz und Reader wieder vollumfänglich nutzen zu können. Als Spiegel.de den Fall aufgriff, wurde das Ennomane-Profil auf Google+ wieder freigeschaltet, was Enno Park zu der Bemerkung veranlasste, einige Blogs seien wohl gleicher als andere.

Die Totalsperre deutet darauf hin, dass Google geglaubt haben könnte, mein Account sei übernommen und defaced worden“, schrieb Enno Park in einem weiteren Blog-Post. Allerdings wisse er, dass ein Denunziant bei Google Spass daran findet, Parks und andere Pseudonym-Accounts als Fakes zu melden und sich öffentlich damit zu brüsten. „In meinem Fall dürfte vermutlich ein Algorithmus zugeschlagen haben, weil zwei Dinge zusammen kamen: eine Meldung als Fake sowie die Namensänderung.“ Sein Fazit: Für den Nutzer sei Google unberechenbar. Das Unternehmen solle dringend seine Algorithmen überarbeiten und seine Community-Manager besser schulen. Einen Beleg dafür lieferte Schauspieler William Shatner, dessen Profil irrtümlich gelöscht wurde. Mittlerweile ist es aber wieder erreichbar. Ob Googles Rechner oder Mitarbeiter den Account für das Werk eines Unbefugten gehalten hatten, wurde nicht bekannt.

Werbung mit geringen Streuverlusten

Die Diskussion um Realnamen auf Facebook gibt es schon lange. Das Unternehmen hat immer wieder entsprechende Accounts deaktiviert. Unter anderem zog sich deshalb im Frühling ein Journalist, der unter der Pseudonym Michael Anti für die „New York Times“ schrieb, aus dem sozialen Netzwerk zurück. In seinen Nutzungsrichtlinien wird wie bei Google+ auf die Verwendung eines echten Namens gepocht. Hintergrund ist hier wie da nicht nur der soziale Gedanke. Denn Facebook ist bei Werbekunden vor allem deshalb beliebt, weil sich reale Vorlieben echten Menschen zuordnen lassen, so dass sich Anzeigen mit geringen Streuverlusten platzieren lassen. Diese Lücke in seiner Vermarktung will der führende Suchmaschinenanbieter mit Google+ schliessen und hat daher in diesem Punkt ähnliche Nutzungsbedingungen wie Facebook für seine mehr als 750 Millionen Mitglieder.

Auch diverse Accounts von Sympathisanten des Kollektivs Anonymous wurden bei Google+ gesperrt. Nun scheinen die Aktivisten, die für Meinungsfreiheit und gegen eine Zensur des weltweiten Datennetzes kämpfen, an einem eigenen sozialen Netzwerk zu arbeiten: Anonplus. Die Versionsnummer 0.1 Alpha zeigt aber, dass das Projekt noch ganz am Anfang stehen dürfte. Bisher kommunizieren die Anonymous-Unterstützer vor allem über den Internet Relay Chat (IRC) miteinander.

Jeder kann mitmachen

„Willkommen bei einem neuen sozialen Netzwerk, auf dem man keine Zensur befürchten muss“, ist auf der Anonplus-Startseite zu lesen, die keinen Starttermin nennt. Die Aktivisten, die ausser mit dem Kampf gegen Scientology auch mit Hackerangriffen auf Organisationen und Unternehmen Schlagzeilen machten, schliessen niemanden aus. Weil sich also jeder Anonymous nennen darf, ist allerdings schwer abzuschätzen, wie ernst es den Machern von Anonplus, aber auch jenen der kürzlich gestarteten WikiLeaks-Alternativen HackerLeaks und LocalLeaks mit ihren Projekten ist.

Dass Facebook Googles Versuch, ein eigenes soziales Netzwerk aufzuziehen, ernst nimmt, zeigt der Fall des Entwicklers Michael Lee Johnson. Er warb über seinen Facebook-Account für Googles Angebot, musste dann aber erleben, wie sein Account gesperrt wurde. Facebook teilte ihm mit, er habe gegen die Nutzungsbedingungen verstossen. Diese verbieten Werbung für Konkurrenzangebote.
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