Wer darf meine E-Mails lesen?

- Oktober 3, 2012

Es ist in Unternehmen immer wieder ein heikles Thema, wer wann und aus welchem Grund berechtigt ist, anderer Leute E-Mails zu lesen. Selbst wenn das Schreiben privater Mails verboten ist, ist die Vorstellung, dass Dritte mit oder ohne ihr Wissen ihre Mails lesen könnten, für die meisten Arbeitnehmer ein unangenehmer Gedanke. Gehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Streit auseinander, ist der Zugriff auf E-Mails durch den Arbeitgeber oft genug Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. In besser organisierten Unternehmen werden mit viel Aufwand Dienst- und Betriebsvereinbarungen geschrieben, die die Spielregeln für die Nutzung von Internet und E-Mail am Arbeitsplatz festlegen. Mitunter wäre wohl das auch in Familien erforderlich – das jedenfalls muss ich aus einer fast unglaublichen Geschichte schließen, die mir mein alter Nachbar vor einiger Zeit erzählte.

Mutti liest mit

Die Tochter meines Nachbarn lebt seit Jahren in einer Art Dauerkriegszustand mit ihrem Ex-Mann, in dem es hauptsächlich um Geld geht. Nachdem die Situation zwischen Tochter und ihrem geschiedenen Mann mal wieder äußerst zugespitzt war, beschloss mein Nachbar „ein vernünftiges Gespräch von Opa zu Oma“ zu versuchen wie er sich ausdrückte, um auf diese Weise möglicherweise zur Befriedung beizutragen. Oma ist in diesem Fall die Mutter des früheren Schwiegersohns. Das „vernünftige Gespräch“ ging allerdings von Anfang an schief. „Oma“ schrie meinen Nachbarn an, was für eine miese Person seine Tochter sei, sie habe „fast 200 E-Mails“ von seiner Tochter, „ausgedruckt und in einem Ordner abgeheftet“, und die würden die bodenlose Schlechtigkeit seiner Tochter beweisen. Die solle er mal lesen, dann könne man weiter reden. Mein Nachbar verstand erst einmal gar nichts. Er fragte nach. 200 E-Mails? Wer die denn geschrieben habe? Es stellte sich heraus, Absenderin der vielen Mails war seine Tochter, Empfänger ihr Ex-Mann und nur der. Leser war ebenfalls der Ex-Mann – und offenbar seine Mutter. Die jedenfalls erklärte meinem Nachbarn stolz, in ihrer Familie gebe es „keine Geheimnisse“, sie könne „jederzeit“ bei ihrem Sohn an den Computer und so hätte sie alle E-Mails seiner Tochter ausgedruckt. Alle ihre schlimmen Taten der letzten fünf Jahre habe sie in chronologischer Reihenfolge dokumentiert.

Nicht strafbar. Nur irre!

Mein fast 80-jähriger Nachbar unterhält sich immer mal wieder mit mir über Datenschutzfragen. Er ist ein an vielen Fragen interessierter Mensch und so stand er nach dieser Episode entrüstet im Hausflur und wollte wissen, was ich „in meiner Eigenschaft als Datenschützerin“ davon halte. Die könne doch nicht einfach die Mails lesen, die gar nicht an sie gerichtet seien! Ob seine Tochter Anzeige erstatten solle? Nun ja, sagte ich. Eine Familie ist kein Unternehmen und auch sonst wüsste ich nicht, welchen Straftatbestand dieser Vorgang erfüllen sollte, da das alles ja anscheinend mit der Billigung des Sohnes geschehen war. „Die wahren Irren laufen draußen rum und halten sich für normal“, wie eine Freundin von mir sagt. Auch wenn es schwerfällt, ich würde das eher darunter verbuchen.

Neue Technik, neue Regeln

Dieser familiäre Irrsinn birgt jedoch einen anderen interessanten Punkt. Die Geschichte macht einmal mehr deutlich, wie viel Zeit es offenbar braucht, bis sich in Bezug auf neue Techniken allgemein akzeptierte, gesellschaftliche Regeln für den angemessenen Umgang damit herausbilden. Hätte die frühere Schwiegermutter der Tochter die Korrespondenz zwischen dem verkrachten Ex-Ehepaar auch gelesen, hätte es sich um Briefe aus Papier gehandelt? Es ist zu vermuten, dass auch Leute, die meinen in einer Familie müsse es keine Geheimnisse geben, in diesem Fall ein wenig skrupulöser gewesen wären. Und sei es nur mit dem sich Brüsten gegenüber Dritten, dass mitgelesen wurde. Das klassische Briefgeheimnis ist alt genug, dass wir es alle verinnerlicht haben. Ausgenommen Geheimdienste und ähnliche Institutionen. Bei E-Mails ist das anders. Wobei im Fall von E-Mail das Verrückte ist wie ich finde, dass E-Mail heute, im Jahr 2012, schon fast wieder als „alte-Leute-Medium“ gilt – als ein Medium, das schon weitgehend von der Kommunikation über Soziale Netzwerke abgelöst ist. Das Herausbilden von Regeln wird auf diese Weise durch die Schnelligkeit der technischen Entwicklung erschwert, wenn nicht verhindert. Sind Regeln entstanden, ist das Medium fast schon nicht mehr aktuell.

Vorbild Kalifornien

Die Geschichte meines Nachbarn illustriert nach meiner Einschätzung noch einen weiteren Punkt sehr anschaulich, der mitunter in der Diskussion um Datenschutz und Datensicherheit übersehen wird. Nicht die – neue – Technik als solche ist ein Problem. Entscheidend ist, was die Menschen, die sie nutzen, daraus machen. Dabei, so scheint es, hat die Schnelligkeit der Online Kommunikation und die zentrale Verfügbarkeit einer Vielzahl von Informationen erst einmal das Schlechte im Menschen hervor gebracht und umfassende Kontroll- und Überwachungsbegehrlichkeiten geweckt, staatlich wie privat (die dann auch ungeniert ausgelebt werden, staatlich wie privat). In Kalifornien sind zumindest erste Ansätze zu erkennen, diese Tendenz umzukehren. Dort ist jetzt ein Gesetz verabschiedet worden, das den Zugriff von Arbeitgebern, Schulen und Universitäten auf E-Mail Konten und Online Profile beschränkt. „A victory for privacy and a step in the right direction”, kommentiert der Blog der American Civil Liberties Union (ACLU), wenn auch der Kampf für Datenschutz in Sozialen Medien damit noch nicht gewonnen sei. Das ist mehr, als man von dem deutschen Entwurf für ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz sagen kann, der sich konsequent um die Regelung der Frage des Umgangs mit E-Mail im Unternehmen herum drückt. Die kalifornische Initiative ist Teil einer Reihe von ähnlichen Gesetzgebungsvorhaben auch in anderen US-Bundesstaaten, die Online Rechte zum Gegenstand haben.

Auf gutes Benehmen kommt es an

Mein Nachbar übrigens machte sich nach einigen Tagen des Überlegens meine Sichtweise zu Eigen, dass es sich bei der Frage des Lesens anderer Leute Mails letztlich um eine Frage des guten Benehmens handele. Konsequenterweise, merkte er noch an, seien dann die entsprechenden Gesetze, von dem ich ihm berichtet habe, auch nur in Gesetzesform gegossenes gutes Benehmen. Schließlich müsse sich in einem Rechtsstaat auch der Staat gegenüber seinen Bürgern anständig benehmen. Dem ist, denke ich, vorläufig nichts hinzuzufügen.

 

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